Ein blondes Kind mit kariertem Hemd steht fröhlich lächelnd vor dunkelblauem Hintergrund. Links daneben steht der weiße Schriftzug „Lesen beginnt vor dem ersten Buchstaben“.
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Das ist Emil

Hier können Sie die Geschichte von Emil noch einmal nachlesen.

Emil – ein kleiner Junge mit großen Träumen

Das ist Emil. Emil ist vier Jahre alt und träumt davon zu fliegen. Wenn er groß ist, will er Pilot werden. Das Wort hat er in der Kita gehört. Das findet er witzig. „Ein Pi-lot“, sagt er – „Was ist das?“
Emil ist neugierig, fröhlich und voller Energie. Er liebt es, sich zu bewegen. Fußballspielen, Fangen, Rennen – stillsitzen ist nichts für ihn. Nachmittags spielt er oft bei seinem besten Freund Malu oder düst durch die Wohnung. Dabei ruft er Alexa sein Lieblingslied zu. Außer Mama sagt, dass er mal wieder zu laut ist, dann nimmt er sich das Tablet. Das liegt in der Wohnung und darauf darf er Videos schauen. Manchmal setzt sich Mama auch dazu und sie schauen sich gemeinsam etwas an. Wenn Papa abends nach Hause kommt, toben oder spielen sie oft. Seine Eltern sind liebevoll – und immer in Bewegung. Sein Papa arbeitet einen kleinen Betrieb, seine Mutter arbeitet in Teilzeit in der Altenpflege. Zu Hause ist es auch immer trubelig. Fürs Vorlesen ist Emil „zu unruhig“, finden die Eltern. Und überhaupt – wer soll das schaffen, bei all dem, was sonst noch zu tun ist? Hauptsache ist doch, ihm geht es gut und er kann sich austoben. 

Emil weiß, was er fühlt – aber oft fehlen ihm die Worte

In der Kita ist Lea. Lea weiß immer, was sie sagen will. Wenn sie etwas erzählt, hört jeder zu. Emil weiß manchmal nicht, wie er Dinge ausdrücken soll. Das macht ihn wütend. Und traurig. Neulich hat er sich mit Lea gestritten, aber konnte seiner Erzieherin nicht erklären, warum. Das hat ihn so sauer gemacht, dass er weinen musste. Es ist nicht das erste Mal.

Emil fällt nicht auf – er ist kein Problemkind. Aber er ist sprachlich nicht da, wo andere Kinder in seinem Alter stehen. Seine Eltern unterschätzen wie viele andere, wie wichtig Vorlesen für die Sprachentwicklung und das spätere Lesenlernen ist. Für sie ist es eine Freizeitaktivität von vielen. In Emils Kita wird immer wieder vorgelesen, aber für eine systematische, alltagsintegrierte Sprachförderung, fehlt das Fachpersonal. Auch die Erzieherinnen betonen, dass sie den verschiedenen Bedürfnissen der Kinder und Familien nicht mehr gerecht werden können. Fröhliche Kinder wie Emil, die aus einem liebevollen Elternhaus kommen, fallen im Alltag nicht besonders auf. Eine genau auf ihn und seinen Entwicklungsstand angepasste Unterstützung kommt daher manchmal einfach zu kurz – aber bleibt nicht ohne Auswirkungen. 

Denn was viele nicht sehen: Eine Spirale beginnt.

Emil wird bald eingeschult. Dort wird er mit Kindern wie Lea in einer Klasse sein. Ihr wurde häufig vorgelesen, dadurch hat sie einen größeren Wortschatz, kann sich besser konzentrieren und ihr fällt das Lesenlernen leicht. Emil hingegen wird jedes Wort mühsam zusammensetzen. Er wird frustriert sein. Denn Lesenlernen braucht Wörter – und Emil fehlen viele davon.

Und weil das Lesen so anstrengend ist, wird Emil es meiden. Während Lea bald in Geschichten versinkt, wird er das Lesen mit Stress verbinden. Der Abstand zwischen ihnen wächst – in der Sprache, im Lernen, im Selbstvertrauen.

Emils Eltern wollen das Beste für ihn. Aber Lesen war nie Teil ihres Alltags. Sie fühlen sich unsicher mit Grammatik und Rechtschreibung – wie sollen sie da helfen? Und überhaupt: Fürs Lesenlernen ist doch die Schule da!

Doch auch in der Schule gibt es kaum Ressourcen, um jedes Kind individuell zu fördern. Die Lehrkräfte tun, was sie können. Doch es fehlt an Zeit. An Material. An Unterstützung.

Was das für Emil bedeutet?

Er wird eines von vier Kindern sein, das nach der Grundschule nicht richtig lesen kann.
Er wird Sätze lesen, ohne ihren Sinn zu erfassen.
Er wird Schwierigkeiten haben, Aufgaben zu verstehen – in jedem Fach.

Und das kann ihn ein Leben lang begleiten.

Emils Traum vom Fliegen? Er könnte ein Traum bleiben.

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