IGLU-Studie: Mangelnde Lesekompetenz – was passieren muss

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Pressemeldung – Die aktuelle Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU), die die Lesekompetenz von Kindern aus unterschiedlichen Ländern vergleicht, bestätigt die Bildungsstudien der letzten Monate: die Anzahl der Grundschulkinder in Deutschland, die nicht ausreichend Lesen können, hat weiter zugenommen. Die Corona-Pandemie ist nur ein Einflussfaktor. Lehrkräfte sind chronisch überbelastet, wie auch vergangene Woche der Grundschulverband e.V. bestätigte. Es braucht einen politischen und gesellschaftlichen Aufbruch, um die Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu verbessern. Lehrkräfte müssen bundesweit auf strukturierte und verbindliche Lösungen für die Leseförderung zurückgreifen können und praxisnah unterstützt werden. 

Wer nicht richtig lesen kann, dem bleiben Chancen verschlossen – zunächst in der Schule, später auch im Beruf. Im Rahmen der alle fünf Jahre durchgeführten international vergleichenden und repräsentativen IGLU-Studie wurde auch 2021 die Lesekompetenz von etwa 4.600 Schülerinnen und Schülern aus circa 250 vierten Klassen deutschlandweit erhoben. Weltweit haben sich insgesamt 65 Staaten und Regionen beteiligt. Heute wurden die Ergebnisse in Berlin vorgestellt. 

Immer mehr Kinder in Deutschland können nicht lesen

Der Anteil der Kinder, die nicht über ausreichende Lesekompetenz verfügen, ist gegenüber 2016 deutlich angestiegen: Jedes vierte Kind verlässt die Grundschule ohne ausreichende Lesefähigkeiten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Dr. Jörg F. Maas, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen anlässlich der Ergebnisse der IGLU-Studie: „Es ist höchst alarmierend, dass ein Viertel unserer Grundschulkinder nicht richtig lesen kann. Wir müssen diese Abwärtsspirale dringend stoppen. Dafür bedarf es politisches und gesellschaftliches Umdenken und zwar sofort.“ 

Lesen im Bildungssystem systematisch und verbindlich fördern

Den Grundschulen kommt im Bildungslebenslauf von Kindern eine zentrale Rolle zu. Zwar können sie herkunftsbedingte Benachteiligungen nur bedingt ausgleichen, aber zumindest werden hier alle Kinder erreicht. Damit dies gelingen kann, braucht es verbindliche Strukturen und Vorgaben, damit Lesen jeden Tag im Unterricht Aufmerksamkeit bekommt. Auch hier besteht Handlungsbedarf, da die Lesezeit im Unterricht an deutschen Schulen niedriger ist als im internationalen Vergleich. Um heterogene Gruppen entsprechend der jeweiligen Bedarfe der Kinder ausreichend fördern zu können, braucht es mehr und gut geschultes Fachpersonal sowie Fortbildungs- und Schulungsangebote, ein anregendes mehrsprachiges Medienangebot als Ressource und integrierende Elternansprache. „Neben dem hohen Stellenwert der Familie als Vorbilder brauchen wir ausreichend Mittel und Kapazitäten in Kindertagesstätten und Schulen. Sich für die Leseförderung einzusetzen, hat einen erheblichen bildungs- wie gesellschaftspolitischen Stellenwert. Denn wie gut wir Kinder beim Lesenlernen unterstützen, ist entscheidend für unsere gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwicklung“, so Dr. Jörg F. Maas weiter. Bis verbindliche Strukturen geschaffen sind, müssen Lehrkräfte praxisnah entlastet werden. Hier unterstützt beispielsweise das Schulportal der Stiftung Lesen mit kostenfreiem Unterrichtsmaterial und Inspiration. So gibt es z. B. für die Grundschule mit „echt jetzt“ ein Kindermagazin, das das MINT- und Leseinteresse fördert. Ein Angebot von vielen, mit denen Leseförderung fächerübergreifend und ganztägig gedacht wird.

Alarmierend ist weiterhin der deutlich spürbare Negativtrend seit 2001 bezüglich der Kluft zwischen sehr guten Leserinnen und Lesern und Kindern mit großen Schwierigkeiten. Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, sind vor allem soziale strukturelle Bildungsbenachteiligung in den Familien sowie mangelnde Sprachkenntnisse. Zwar haben sich laut der aktuellen IGLU-Studie im 20-Jahre-Trend die sozialen Disparitäten nicht verstärkt, aber auch nicht reduziert. Daher fordert die Stiftung Lesen, diesen herkunftsbedingten Bildungsbenachteiligungen systematisch zu begegnen und Familien von Beginn an ganzheitlich zu unterstützen. Mehrsprachigkeit sollte hier als Ressource erkannt und mitgedacht werden.              

Was muss sich bereits vor Beginn der Schulzeit ändern: Kindern mehr vorlesen

Zahlreiche Studien bestätigen, dass der Prozess des Lesen- und Schreibenlernens bereits im frühen Kindesalter beginnt. Dies gelingt am besten frühestmöglich durch spielerische sprachliche Förderung wie Singen und Erzählen, später über das Vorlesen mit verschiedensten Medien, aber auch ganz alltagsnah beim gemeinsamen Lesen etwa von Rezepten. Dennoch wird vier von zehn Kinder zu Hause selten oder nie vorgelesen. Dr. Jörg F. Maas erläutert: „Wir müssen erreichen, dass für jedes Kind Vorlesen fester Bestandteil von frühester Kindheit ist. Wir wissen, dass Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wurde, später ihren Kindern eben auch regelmäßig vorlesen. Ein paar Minuten am Tag machen bereits einen Unterschied.“

Langfristige Lösungen finden – Nationaler Lesepakt

Damit Lehrkräfte aber langfristig Grundkompetenzen wie Lesen besser lehren können, müssen sie sich auf einen praxisorientierten, auf Forschung basierenden Fahrplan verlassen können, der für alle Bundesländer umgesetzt werden kann. Dafür bietet die Stiftung Lesen nicht nur verschiedene Angebote, sondern hat gemeinsam mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels den „Nationalen Lesepakt“ gegründet. Über 180 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik haben sich hier zusammengeschlossen, um Leseförderung verbindlich werden zu lassen – damit Bildungsgerechtigkeit endlich Realität wird. Dafür strebt die Initiative ein bundesweit verbindliches Maßnahmenpaket an. 

Statement: Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

„Die Ergebnisse der aktuellen IGLU-Studie sind alarmierend. Sie zeigen ein weiteres Mal, wie dringend wir handeln müssen. Lesekompetenz ist zwingend notwendig für selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe und der Schlüssel für ein erfolgreiches Berufsleben. Damit ist Leseförderung nicht nur grundlegend für den individuellen Lebensweg, sondern für unsere gesamte Demokratie. Gemeinsam mit der Stiftung Lesen und einem breiten Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft streben wir eine durchdachte Zusammenarbeit zur Verbesserung der Lesekompetenz in Deutschland an. Denn Leseförderung muss ab jetzt höchste Priorität in Deutschland haben.“

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